Der Maidan wirkt nach

veröffentlicht am 14. Juli 2014 bei der Landeskirche Hannovers

Der Ukraine-Konflikt und besonders die gewalttätigen Auseinandersetzungen auf dem Maidan sind auch jetzt noch in der deutschen evangelischen Gemeinde im Kiewer Stadtzentrum präsent. Bürgerinitiativen arbeiten in den Räumen der Kirche und auch Pastor Ralf Haska organisiert Hilfe aus Deutschland. Für den Pfarrer von St. Katharina war der Umsturz in der Ukraine eine „Revolution der Würde“.


„Das war Ausnahmezustand – körperlich wie psychisch“, erinnert sich Ralf Haska an die entscheidenden Tage Ende Februar. Vom 18. bis 21. Februar erreichte der Konflikt in Kiew seinen Eskalationshöhepunkt. Bei Kämpfen in der Innenstadt starben rund 100 Menschen und noch viel mehr wurden verletzt. Am Ende floh der damalige Präsident Janukowitsch. „Mir gehen soviele Bilder durch den Kopf aus diesen Tagen“, sagt der Pastor. Vieles seien nur Bruchstücke: Der Anblick von Blut- oder Tränenüberströmten. „Zusammenfassen kann ich es nicht.“

Der deutsche Pastor Ralf Haska vor der ev.-luth. Kirche St. Katharina in Kiew. Bild: Stefan Korinth
Blickt nachdenklich in die Zukunft: Pastor Ralf Haska vor der deutschen evangelischen Kirche St. Katharina im Kiewer Stadtzentrum. Foto: Stefan Korinth

Genau wie für den Pastor sind die Ereignisse des Winters für die gesamte Gemeinde bis heute präsent. Prominente Politiker aus Deutschland schauen häufig vorbei. So war Anfang Juni etwa Bundespräsident Joachim Gauck zu Gast. Im April gab es ein Requiem für die „Himmlische Hundertschaft“ - also den Menschen, die bei ihrem Kampf gegen Regierung und Präsident starben. Die ganze Kirche sei voll gewesen. „Es herrschte eine unglaubliche Stille.“

 

Pastor Haska organisiert auch nach dem Ende der Gewalt auf dem Platz immer wieder Hilfe für Maidan-Opfer. So vermittelte er einen Kontakt zwischen Kiewer und Leipziger Psychologen. Die deutschen Ärzte sollen ihre ukrainischen Kollegen in der Trauma-Behandlung weiterbilden, damit sie sich besser um die zahlreichen seelisch Traumatisierten der Kämpfe kümmern können. Auch mehrere Bürgerinitiativen arbeiten in den Räumen der deutschen Kirche. „Wir sind weiterhin Anlaufpunkt“, erläutert Haska. Auch während des Konflikts versorgte die Gemeinde Demonstranten und Polizisten. (siehe "Zwischen den Fronten")

 

Aktivisten bieten Hilfen an

 

Artem Myrgorodskyi ist einer der Aktivisten, die im ersten Stock des Gebäudes sitzen und vorbeikommenden Opfern helfen. Der Geschäftsmann arbeitet hier freiwillig für die Ärzte-Initiative „E+“. „Wir sammeln Informationen über die Verletzten des Maidan“, erläutert er. Betroffene müssten ihre Verletzungen schildern und medizinische Nachweise sowie Zeugen dafür bringen.„Unsere Datenbank ist umfangreicher als die des Gesundheitsministeriums“, unterstreicht er. „Es ist unsere Pflicht, jedes einzelne Opfer ausfindig zu machen.“

 

460 Schwerverletzte habe es gegeben: Menschen mit Explosions-, Brand oder Schusswunden. „Allein 50 haben eines ihrer Augen bei den Kämpfen verloren“, sagt Myrgorodskyi. Die Initiative, die aus den Maidan-Ärzten hervorging versucht, mit Krankenhäusern in anderen Ländern niedrige Preise für deren Operationen auszuhandeln. Hilfsorganisationen zahlen diese dann aus eigens angelegten Fonds, erklärt er. Die gesammelten Daten des Netzwerks sollen auch dazu dienen, Ansprüche gegen den Staat zu begründen.

 

Taras Hatalyak von „Euromaidan SOS“ sitzt am Tisch gegenüber. Er berät Maidan-Opfer in Rechtsfragen und koordiniert die rund 40 Anwälte der Angehörigen von Getöteten. Genau wie auch Myrgorodskyi ist er seit Anfang Dezember als Freiwilliger dabei. „Unser größtes Problem heute ist die schlechte Arbeit der Ermittler“, kritisiert Hatalyak. In den ersten zwei Wochen nach den Todesschüssen auf der Institutska-Straße sei gar nichts passiert. Der Generalstaatsanwalt wolle bis jetzt nicht alle Fotos und Videos sehen und er wolle auch nicht alle Zeugen befragen. Dafür hätten sie nicht gekämpft, sagt der Aktivist.

Artem Myrgorodskyi (links) von der Initiative „E+“ und Taras Hatalyak vom Netzwerk „Euromaidan SOS“ helfen Maidan-Opfern und ihren Angehörigen in der deutschen Kirche. Foto: Stefan Korinth
Artem Myrgorodskyi (links) von der Initiative „E+“ und Taras Hatalyak vom Netzwerk „Euromaidan SOS“ helfen Maidan-Opfern und ihren Angehörigen in der deutschen Kirche. Foto: Stefan Korinth

„Revolution der Würde?!“ steht über einem von Ralf Haskas Texten im neuesten Gemeindebrief. Es ist Juli und es ist der erste Gemeindebrief seit Ausbruch des Konflikts. „Das musste einfach warten“, sagt der aus Brandenburg stammende Pastor. Es gab vieles andere zu tun in diesen bewegten Zeiten.

 

In dem Text schildert er, worum es aus seiner Sicht bei den Auseinandersetzungen ging: Alle außer den damaligen Herrschenden hätten verstanden, dass die Menschen auf dem Maidan um ihre Würde kämpften. Die Menschen hätten keine Sklaven mehr sein wollen. Seit dem 30. November, als die Sonderpolizei den Platz mit Gewalt räumte, sei es deshalb nicht mehr um eine EU-Annäherung gegangen. „Da habe ich das Wort Revolution zum ersten Mal gehört“, erinnert sich Haska.

 

Nun sei diese Revolution zwar gelungen, doch Korruption sei unverändert da. „Das Land ist durchseucht davon“, kritisiert der Pastor. Der Kampf gegen Korruption werde noch eine lange schwierige Aufgabe. „Die Zivilgesellschaft wird das genau beobachten.“