In eigener Sache: Offener Brief an Edelgard Bulmahn

Betreff: Haltung der SPD gegenüber Russland und dem Ukraine-Konflikt

veröffentlicht am 31. Juli 2014

Sehr geehrte Frau Bulmahn,

 

ich bin freier Journalist aus Hannover und wohne in Ihrem Wahlkreis. Ich habe von mehreren Veranstaltungen in Hannover berichtet, bei denen Sie Gast waren – etwa im Wahlkampf letztes Jahr. Sie sagten damals, dass sich Menschen bei bestimmten Problemen unbedingt an ihre politischen Vertreter in den Parlamenten wenden sollen. „Schreiben Sie mir, wenn so etwas passiert. Schreiben Sie immer den zuständigen Politikern.“ (Evangelische Zeitung Nr. 37/13) Daran habe ich mich heute erinnert und möchte das hiermit tun.

 

Ich schreibe Ihnen, weil ich folgendes Problem habe: Die Politik der Bundesregierung (und damit der SPD) gegenüber Russland und gegenüber den Akteuren im Ukraine-Konflikt ist gefährlich und verantwortungslos. Seit Beginn der Auseinandersetzungen wird das Handeln Deutschlands in diesem Konflikt immer irrationaler – zumindest wenn man sich Frieden in Europa auf die Fahnen geschrieben hat. Auch deshalb bin ich froh, eine Abgeordnete als meine Vertreterin im Bundestag zu wissen, die sich für Friedenspolitik engagiert.

 

Auf Ihrer Website schreiben Sie:

 

„Kernelement deutscher Außenpolitik muss eine auf zivilen Elementen basierende Friedenspolitik sein. Sie sollte das Ziel verfolgen, die Grundsätze von Frieden, Verständigung, Dialog und ziviler Konfliktregelung in konkretes Handeln umzusetzen.“

 

Sie haben damit völlig Recht.

 

Aber: Seit Ende November unterstützte die offizielle Politik der Bundesregierung unglaublich einseitig die damalige politische Opposition in der Ukraine. Immer wieder wurde der rechtmäßig gewählte Präsident zur "Mäßigung" und Kooperationsbereitschaft aufgerufen, obwohl die Opposition von Beginn an seinen Rücktritt forderte und nie auch nur einen Jota von dieser und allen weiteren Maximalforderungen abwich.

 

Die ukrainische Regierung hatte über drei Monate hinweg keine Kontrolle über das Zentrum der Hauptstadt. Das Gewaltmonopol dort lag nicht mehr bei der Polizei, die Opposition rief zur Bildung von „Bürgerwehren“ auf und rechtsradikale Schläger und Hooligans taten ihr den Gefallen. Und das alles sollten die Machthaber laut Bundesregierung einfach so hinnehmen.

 

Natürlich hatte die CDU damals das Interesse, ihren Schützling Vitali Klitschko, dessen Partei von der Konrad-Adenauer-Stiftung aufgebaut wurde (Spiegel-Online vom 8. Dezember), in eine bessere Position zu bringen. Bei normalen demokratischen Wahlen hatte er in Kiew bis dahin ja immer den Kürzeren gezogen. Nun ist er Oberbürgermeister der Millionenmetropole.

 

Es wundert mich deshalb nicht, dass die CDU, die hierzulande oft als „Law-and-Order“-Partei auftritt, in der Ukraine kein Problem damit hatte, dass Aufständische rund drei Monate lang das Zentrum der Hauptstadt besetzten, Barrikaden bauten, Ministerien und anderen öffentliche Gebäude stürmten (auch in der gesamten Westukraine), sich organisiert, vermummt und bewaffnet Straßenschlachten mit der Polizei lieferten (auch 20 Polizisten starben im Februar). In Deutschland würde die CDU dies keine Sekunde lang gutheißen.


Doch in der Ukraine war das aus Sicht der CDU zu begrüßen, es ging ja gegen einen „pro-russischen“ Staatschef (Janukowitsch) und den finsteren russischen Strippenzieher im Hintergrund (Putin). Und es ging um mehr: völlige Öffnung des ukrainischen Marktes für deutsche Konzerne, bedingungslose Exekution geopolitscher Interessen der USA, Rüstungsexporte etc. – mich hat dieses Verhalten  der CDU nicht verwundert.

 

Aber was ist mit der SPD? Sie Frau Bulmahn, Herr Steinmeier, Herr Gabriel und ihre ganze Partei sind verpflichtet, für den Frieden in Europa einzutreten. Stattdessen verfolgt die SPD-Spitze denselben konfrontativen Kurs wie die CDU. Falls Ihre Partei es – trotz all der Gedenktage zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges - noch nicht bemerkt haben sollte, Europa steuert wieder auf eine große bewaffnete Auseinandersetzung zu. Damals vor hundert Jahren hat der Großteil der SPD-Spitze versagt.

 

Und heute? Wo ist ihre kritische Stimme? Die US-amerikanisch motivierte Sanktionsspirale der EU dreht sich unter Führung der Bundesregierung immer schneller. Warum macht die SPD das mit? Warum machen Sie das mit? Ich hatte nicht die Fantasie, mir das Eskalationspotenzial, das nun besteht, vor ein paar Monaten vorzustellen. Vielleicht bin ich auch ein Pessimist. Aber der nächste Schritt kann, wenn Putin nicht zurückzieht, konsequenterweise nur die Ausweitung des regionalen Konfliktes in der Ostukraine hin zu einem größeren Schlachtfeld sein. Und das alles wegen einer aufgeschobenen Unterschrift im November.

Nach einer Idee der "Heute Show": Friedenspolitische Wandmalerei in Hannover. Foto: Stefan Korinth
Nach einer Idee der "Heute Show": Friedenspolitische Wandmalerei in Hannover. Foto: Stefan Korinth

Frank-Walter Steinmeier hatte im Dezember und im Januar und bei der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar und dann spätestens am 20. Februar in Kiew zahlreiche Möglichkeiten den Wahnsinn dort aufzuhalten: „Wir werden ein Auge darauf haben, dass aus der Vereinbarung, die hier getroffen wurde, auch Politik wird“, sagte er nach der Unterzeichnung eines Abkommens für eine nationale ukrainische Einheitsregierung. Schon am nächsten Tag war das Ganze wertlos.

 

Warum hat er das alles laufen lassen? Wollte er die Konfrontation mit Russland? Vielleicht wollte er ja den, als demokratischen Aufstand getarnten, Oligarchentausch in der Ukraine. Ja, Janukowitsch und seine Minister waren eine Bande korrupter Mafiosi. Das hat die EU früher aber auch nicht gestört. Zudem war die Alternative zu keinem Zeitpunkt eine progressive, soziale, demokratische Politik, sondern nur andere korrupt-kriminelle Oligarchen in Kombination mit Rechts- und Marktradikalen.

 

Ich weiß, in Berlin leben die Politiker unter einer informationellen Dunstglocke: „Renommierte“ Medien mit ihren transatlantischen Hardlinern und freiheitsliebende Lobbyorganisationen, die ständig „demokratische Revolutionen“ hervorbringen und in Wirklichkeit langjährige Machtkämpfe und  Schlachtfelder produzieren. Unvoreingenommene Interpretationen und gegenläufige Hinweise haben keine Chance in die Berliner Informationsblase vorzudringen. Ich könnte von Ihnen jetzt verlangen, tagelang  zu recherchieren, was in der Ukraine tatsächlich geschieht. Aber ich kann Sie auch einfach fragen, Frau Bulmahn: Glauben Sie als erfahrene Politikerin, dass alles so klar ist, wie die Bundesregierung und die etablierten Medien es darstellen? Glauben Sie, dass die kommende Konfrontation zu Recht bevorsteht?

 

Beispiel Flugzeugabsturz: Russland stimmt bei der UNO einer internationalen Untersuchung des Absturzes zu. Die Separatisten übergeben die Flugschreiber unbeschädigt und nicht manipuliert. Sie bergen die Leichen – ein niederländischer Gerichtsmediziner spricht sogar von „hervorragender Arbeit“ (Reuters-Meldung vom 21. Juli) - und schicken die Leichen in den Westen.

 

Gleichzeitig eröffnet die ukrainische Armee Offensiven mit Panzern und Artillerie auf Donezk (als die niederländischen Ermittler dort gerade ankommen, 21. Juli) und das Gebiet um die Absturzstelle (seit 27. Juli). Der neue Präsident Poroschenko bricht damit die o.g. UNO-Resolution. Von neuen Opfern unter ostukrainischen Zivilisten ganz zu schweigen. Doch das alles ist völlig egal. Heraus kommen immer nur neue  Vorwürfe und Sanktionen der Bundesregierung gegen Russland. Zudem sind die Verursacher des Abschusses bis heute nicht bekannt – noch nicht mal, ob es überhaupt ein Abschuss war, ist bis heute bekannt. Mich erinnert das fatal an den Brand in Odessa oder die Scharfschützen in Kiew (Monitor-Beitrag, 10. April).

 

Wo ist Ihre Stimme Frau Bulmahn? Wo sind die SPD-Politiker, die auf Frieden und Verständigung setzen, statt auf Drohungen, Erpressungen, Sanktionen und letztlich auf militärische Gewalt? Können Sie auf die Bundesregierung einwirken und die Verantwortlichen wieder ein Stück zur Vernunft bringen? Können Sie das zumindest in Ihrer Partei? Sie Frau Bulmahn sind die Vertreterin meines Wahlkreises. Ich nehme Sie in die Verantwortung.

 

„Die Entspannungspolitik gegenüber dem Ostblock war für mich damals der Grund in die SPD einzutreten.“

 

Das sagten Sie bei einer anderen Wahlkampfveranstaltung im letzten Jahr mit Egon Bahr in der Lutherkirche. Ich habe Ihnen damals aufmerksam zugehört. Und auch dies sagten Sie an dem Abend: „Frieden ist vor allem ein Prozess, den es ständig zu gestalten gilt.“ Wann knüpft die SPD wieder konstruktiv an frühere Friedenspolitik an und gestaltet, Frau Bulmahn?

 

 

Viele Grüße

 

Stefan Korinth

Freier Journalist aus Hannover

Antwort von Edelgard Bulmahn

Hier Edelgard Bulmahns Antwortmail, vom 25. August, in voller Länge:

 

 

Sehr geehrter Herr Korinth,

 

vielen Dank für Ihre Mail vom 31. Juli 2014. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass der deutsche Außenminister sich bereits seit Anfang des Jahres mit großem Nachdruck bemüht hat, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen und Verhandlungen aufzunehmen. Er hat seitdem - auch gemeinsam mit anderen europäischen Außenministern - immer wieder verhandelt und Vorschläge zur Beilegung des Konflikts gemacht. Die Sanktionen, die in den letzten Monaten über mehrere Stufen gegenüber Russland teilweise verhängt worden sind, halte ich angesichts des Verhaltens Russlands jedoch für adäquat. Sanktionen sind aber nur ein Teil der Strategie, die die Bundesregierung und Bundesminister Steinmeier verfolgen.

 

Russland ist an der bisherigen Eskalation nicht schuldlos, die militärische Unterstützung der Separatisten und besonders die Annektierung der Krim sind mit dem Ziel, eines friedlichen Zusammenlebens der Menschen in Europa, nicht vereinbar. Dass die europäische Gemeinschaft Russland im Ukrainekonflikt nicht weiter konsequenzlos gewähren lässt, halte ich daher für legitim. Die militärische Auseinandersetzung in der Ukraine ist eine humanitäre Katastrophe, die schnellstmöglich beendet werden muss. Dazu kann Russland beitragen, wenn die separatistischen Kräfte keine russische Unterstützung mehr erfahren.

 

Die Ereignisse der letzten Monate haben eins ganz deutlich gemacht: Wir brauchen eine ganzheitliche friedenspolitische Strategie in der Außenpolitik. Ich setze mich dafür ein, dass ein einheitliches strategisches Konzept für konkrete Konflikt- und Krisensituationen und für das künftige Engagement der EU erarbeitet wird. Wenn jedoch die Konfliktparteien überhaupt nicht bereit sind, ihre Aggressionen zu beenden und an den Verhandlungstisch zurückzukehren, dann sind meines Erachtens Sanktionen notwendig.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Edelgard Bulmahn

Ergänzende Information

Edelgard Bulmahn ist stellvertretende Vorsitzende des deutsch-amerikanischen Lobbyvereins "Atlantik-Brücke".