Zwischen den Fronten
veröffentlicht am 11. Februar 2014 bei der Landeskirche Hannovers
Wie alle Kirchen und Religionsgemeinschaften ist auch die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in der Ukraine (DELKU) von den Auseinandersetzungen in dem osteuropäischen Land betroffen. Besonders die Kiewer Gemeinde St. Katharina im Zentrum der Hauptstadt und ihr Pastor Ralf Haska stehen mitten in der Auseinandersetzung. Mit viel Engagement versorgt die Gemeinde Menschen und setzt sich für eine friedliche Lösung ein.
„Mittlerweile kochen wir in der Kirche nicht mehr“, erzählt Ralf Haska. „Bis wir am Maidan ankämen, wäre das Essen kalt.“ Der von der EKD gesandte Theologe ist seit mehr als vier Jahren Pastor der deutschen evangelischen Gemeinde in der ukrainischen Hauptstadt. Dort herrschen derzeit Temperaturen von minus 20 Grad. Einige junge Leute aus der Gemeinde seien deshalb auf die Idee gekommen, Kartoffeln mit Speckscheiben in Alufolie zu wickeln, erläutert Haska. „Die Folienkartoffeln bringen wir dann zum Maidan, dort können die Demonstranten sie grillen.“
Seit Ende November spielt sich im Zentrum der Millionenmetropole ein politisch-gesellschaftlicher Großkonflikt ab, dem sich die deutsche Katharinengemeinde nicht entziehen kann. Das Kirchengebäude aus dem Jahr 1857 liegt in der Altstadt an der Lutherischen Straße (Wulizja Ljuteranska) - schräg gegenüber der Präsidialverwaltung. Der Amtssitz des Präsidenten Viktor Janukowitsch wird von Milizeinheiten geschützt. „Viele Leute vom Maidan haben deswegen Angst, in die Kirche zu kommen“, sagt der Auslandspfarrer.
Die Gemeinde versorgte beide Seiten
Im Dezember sei dies noch anders gewesen. Damals gab es ein Lager und eine Barrikade der Protestgruppen auf der Straße direkt vor der Kirche. Miliz und Regierungsgegner standen sich gegenüber. Rund zwei Wochen lang versorgte die Gemeinde damals jeden der kam, egal ob Polizist oder Demonstrant. „Fünf Tage lang, war es richtig voll in der Kirche. Da lagen überall Schlafsäcke“, erinnert sich Haska. Erschöpfte konnten sich hier ausruhen, es gab Tee, Kaffee und heiße Suppe. Sogar eine kleine medizinische Versorgungsstelle des „Nationalen Widerstandes“ wurde eingerichtet.
Es gab aber auch Auseinandersetzungen vor der Kirche. Der Brandenburger Pastor, der früher bereits in Weißrussland tätig war, ging dazwischen und beruhigte. Einige Tage später räumte die Polizei das Lager.
Wenn derzeit draußen nichts los ist, kommen Milizionäre immer noch gern in die Kirche. Sie können hier auf die Toilette gehen und ihre Handy-Akkus aufladen. Die meisten Polizisten sind sehr jung. Viele erst 19 oder 20 Jahre, schätzt der Pastor. „Sie vermissen natürlich ihre Familien – deshalb sind ihnen ihre Telefone sehr wichtig.“ Dem Deutschen gegenüber bleiben die Polizisten aber wortkarg. „Sie sind scheu und reden nicht mit mir“, erzählt er. „Ich schätze, sie fühlen sich nicht wohl in ihrer Haut und wären gern woanders.“
Den Kontakt zum „Maidan Nesaleschnosti“ hat Ralf Haska trotzdem nicht verloren. Der Unabhängigkeitsplatz liegt zu Fuß keine zehn Minuten von der Kirche entfernt.
Neben Lebensmitteln bringen der Pastor und seine Helfer Ausrüstung für die dort tätigen Medizindienste mit. Die Ärzte auf dem Maidan hätten ihn nach Blutdruckmessgeräten, die bei Frost funktionieren, gefragt – und nach schusssicheren Westen. Beim letzten Aufenthalt in Deutschland besorgte Haska die Sachen und brachte sie den Ärzten.
Alles was wir verteilen, finanzieren wir aus Spenden, betont er. Andere deutsche Gemeinden in der Ukraine hätten bereits Kollekten geschickt. Auch Einzelspenden habe es gegeben. Besonders die jungen Leute in der Gemeinde seien aktiv. „Wenn Hilfe nötig ist, kommt immer jemand.“
Ironische Distanz in Odessa
Für den Alltag der deutschen evangelischen Gemeinden in anderen ukrainischen Städten spielt die „Revolution“ jedoch nur eine untergeordnete Rolle, sagt Uland Spahlinger. Der Münchner ist seit 2009 Bischof der DELKU.
Deutsche Evangelische-Lutherische Kirche in der Ukraine (DELKU)
Die DELKU wurde im Februar 1992 von Deutschukrainern neugegründet. Heute zählt die Kirche nach Angaben der EKD rund 1000 Mitglieder in 30 Gemeinden mit 15 Pastoren und 23 Predigern. Amtssitz ist Odessa. Die dortige Pauluskirche wurde nach einer umfassenden Sanierung im Jahr 2010 wiedereröffnet. Die größten Gemeinden befinden sich in Odessa (St. Paul) und Kiew (St. Katharina). DELKU ist mit der bayrischen evangelischen Landeskirche partnerschaftlich verbunden. Bischof Uland Spahlinger, der zuvor Pfarrer in München war, war bis zum 15. Februar im Amt. Sein Nachfolger wurde der gebürtige Kasache Sergej Maschewski.
In der deutschen Paulusgemeinde an seinem Amtssitz Odessa debattieren die Menschen zwar intensiv über die Ereignisse. Aber das Leben verläuft in der südukrainischen Hafenstadt ansonsten in
ruhigen Bahnen. „Hier in Odessa“, erläutert der 56-Jährige „geht man eher ironisch distanziert mit der Lage um.“
Auch im Büro der DELKU gehen die Haltungen zu dem Konflikt auseinander. „Natürlich bin ich westlich geprägt“, sagt Spahlinger.
Mit „obrigkeitsstaatlichen Herangehensweisen“ sei er deshalb auch nicht einverstanden. Als Ausländer halte er sich mit seiner Meinung jedoch eher zurück. Was den Kiewer Maidan angeht, ist sich Spahlinger sicher, dass die Kirchenvertreter dort ausschließlich als Seelsorger und Prediger tätig seien. „Sie sind nicht politisch aktiv.“
"Selbstständige Positionierung"
Die Frage danach, wie sehr sich Geistliche eigentlich in politischen Konflikten anderer Länder engagieren dürfen, ist nicht einfach zu beantworten. Bei der EKD in Hannover wird die Unabhängigkeit der deutschen evangelischen Kirche in der Ukraine betont.
Die DELKU positioniert sich in solchen Fragen selbstständig, erläutert Osteuropa-Referent Michael Hübner aus dem Kirchenamt. Sie sei bei den Demonstrationen bisher absolut im christlichen Sinne mit Gebet und humanitärer Hilfe für eine gewaltfreie Lösung eingetreten. Die EKD begrüßt das und bewundert besonders, den friedlichen Einsatz der Kiewer Gemeindeglieder, so der Oberkirchenrat.
Pfarrer Haska in Kiew sieht sich ebenfalls als politisch-distanzierten Gottesmann. „Ich helfe allen Seiten“, betont er.
„Ich habe zwar Sympathie mit dem Volk, das in der Kälte für den Rechtsstaat demonstriert. Das hat mit Parteilichkeit aber nichts zu tun.“ Auch unter den rund 300 Mitgliedern seiner Gemeinde gebe es kritische Stimmen zu den Protesten. Wichtig sei, dass man sich friedlich austausche.
Auch in dieser Angelegenheit ist der Auslandspfarrer aktiv geworden und hat zusammen mit der Organisation „Foundation for Freedom“ einen Runden Tisch ins Leben gerufen. Mehrmals trafen sich mittlerweile Interessierte in der Katharinenkirche, um über Lösungen des Konflikts zu diskutieren. „Da kommen Leute, die ihre Meinung sagen wollen“, erklärt Haska. „Sie hören aber auch, was die anderen zu sagen haben.“
Den Gemeinde-Alltag versucht der Pastor trotzdem so gut wie möglich am Laufen zu halten. Die Gottesdienste finden normal statt, alle Gesprächskreise und der Chor treffen sich weiterhin. „Man merkt aber, dass weniger Leute kommen“, sagt Haska. „Sie haben jetzt gerade im Dunkeln mehr Angst.“
Der Beitrag wurde auch in der Evangelischen Zeitung (Nr. 6/2014) auf der Seite 5 abgedruckt.